1. Die Kathedrale zu Canterbury
Der berühmteste Gnadenort der englischen Landschaft Kent war Canterbury, wo man noch jetzt einige Spuren der alten Andacht zu Maria findet. Als am Ende des sechsten Jahrhunderts der hl. Mönch Augustin von dem hl. Gregor nach England geschickt wurde, um dort den Samen des Evangeliums auszustreuen, erbaute er zu Canterbury eine Kirche zu Ehren des Erlösers. Das war der Ursprung der berühmten Kathedrale, welche seitdem stets den Vorrang genoss vor allen Kirchen Englands. Als jedoch später die Dänen wiederholte Einfälle in das Land machten und die Stadt Canterbury verwüsteten, erlitt die Kirche so große Beschädigungen, dass die Erzbischöfe sie verlassen mussten. Erst der hl. Odo konnte um die Mitte des zehnten Jahrhunderts das Gotteshaus wieder zur Feier der heiligen Geheimnisse herrichten.
Nachfolger des hl. Odo auf dem erzbischöflichen Stuhle von Canterbury war der hl. Dunstan. Nachdem Beispiele vieler anderer Heiligen pflegte diese berühmte Kirchenfürst sich Nachts vom Lager zu erheben, um die Altäre der Kirche zu besuchen. Bei diesen frommen Übungen nun wurde er mehrmals mit himmlischen Erscheinungen begnadigt. Einmal war er auf seinem Rundgange durch die Kathedrale bis in die Nähe der Mutter-Gottes-Kapelle gekommen. Da vernahm er einen wunderbaren Gesang und sah, wie die Mutter Gottes, um geben von einer Schaar jungfräulicher Sängerinnen, in himmlischem Glanze ihm entgegenkam und ihn in die Kapelle führte.
Solche wunderbare Gnadenerweise waren vielleicht die Veranlassung, dass der Dom von Canterbury ein Gnaden- und Wallfahrtsort wurde. Jedenfalls wurde die unterirdische Kirche unter dem Dom, in welcher die Gebeine St. Dunstan's ruhen, später ein berühmtes Mutter-Gottes-Heiligtum. Wenige Jahre nach dem Tode des Heiligen zerstörten und plünderten die Dänen abermals die Stadt und teilweise die Kathedrale. Doch stellte der freigebige König Canut dieselbe wieder her. Allein um die Mitte des elften Jahrhunderts verwüstete eine große Feuersbrunst den Dom dergestalt, dass man denselben ganz von Neuem aufbauen musste. Zur Ausführung dieses großen Werkes sandte Gott nacheinander zwei Erzbischöfe, welche vielleicht die bedeutendsten Männer sind, die der Diözese Canterbury vorgestanden haben. Es waren dies Lanfrank und der hl. Kirchenlehrer Anselm. Der erstere begann den prachtvollen Bau, und St. Anselm führte ihn der Vollendung entgegen. Aber erst sein Nachfolger konnte die Einweihung vornehmen. Im Jahre 1174 wurde abermals ein großer Teil der Kirche durch Brand in einen Schutthaufen verwandelt. Sogleich begann man mit der Wiederherstellung, welche freilich mitunter durch die Wirren der damaligen Zeit gehemmt wurde. Im Übrigen aber wetteiferten die Könige und Erzbischöfe, sowie die Gläubigen in der Erweiterung und Verschönerung des herrlichen Domes.
Mehrere Kapellen, kunstvolle Gemälde, tausenderlei Verzierungen, goldene und silberne Gefäße, Statuen aus kostbarem Metall, unzählige Kunstgegenstände, das waren die Zeugen der Glaubenseinheit jener Jahrhunderte. Vor Allem aber waren die zwei Marienkapellen der Gegenstand allgemeiner Verehrung. Mit der äußersten Pracht wurden sie ausgestattet; was die christliche Kunst nur Herrliches schaffen konnte, das musste die Heiligtümer der Mutter Gottes schmücken. Gnadenkapelle scheint die unterirdische Kapelle gewesen zu sein. Ein berühmter Schriftsteller der Reformationszeit sagt von dieser Gnadenkapelle unter Anderm: "Aus Furcht vor Dieben hat man sie mit einem eisernen Gitter umgeben. Wirklich sah ich nie einen Ort, welcher mehr mit Schmuck überladen gewesen wäre. Beim Schein der Kerzen hatten wir ein mehr als königliches Schauspiel, welches Walsingham (ein anderer berühmter Gnadenort in England) an Schönheit bei weitem übertraf." - Die Bildsäule der Mutter Gottes stand höher als der Altar, unter einem Baldachin, auf einem prächtig gearbeiteten Untersatz, der mit Szenen aus dem Leben Maria's geschmückt war.
Aber wie tausend andere Heiligtümer und Schätze Maria's ging auch dieses verloren in der Zeit der unseligen Reformation. Der wollüstige und goldgierige König Heinrich VIII. beraubte den Gnadenort seines ganzen Schmuckes. Alle seine Reichtümer, kostbaren Gesteine und Metalle wanderten in die Schatzkammer des Königs. Die Bilderstürmer vollendeten das Werk der Zerstörung, so dass man heute kaum noch einige Spuren der schönen Verzierungen entdeckt. Die Katholiken verloren den Dom an die Protestanten; seitdem hörte die Verehrung der Mutter Gottes auf, und nur die einzelnen Katholiken, welche aus der Fremde dorthin kommen und den herrlichen Dom besuchen, mögen still für sich am ehemaligen Gnadenorte ein Ave Maria sprechen und trauern über die Verblendung der Feinde Maria's, welche an diese Stelle der gnaden- und fruchtbringenden Verehrung der Mutter Gottes den kalten, unfruchtbaren protestantischen Gottesdienst gesetzt haben.
2. Die Kathedrale zu Lincoln
Gegen Ende des elften Jahrhunderts verlegte Remigius, Bischof der Diözese Dorchester seine Residenz aus dieser Stadt nach Lincoln. Unbeirrt durch den Kriegslärm, welcher in jenen Zeiten im ganzen südlichen England erschallte, legte er sogleich den Grundstein zu einer neuen Kathedrale, welche er der Mutter Gottes weihte. Mit Eifer betrieb er das begonnene Werk. Schon legte man die letzte Hand an den Bau und der Bischof machte die Vorbereitungen zur Einweihung. Geistliche und weltliche Würdenträger wurden eingeladen: mit allem nur möglichen Glanze sollte die Feier am 9. Mai 1092 begangen werden. Da plötzlich, am Vorabend des Festes, warf eine Krankheit den Bischof nieder und noch an demselben Tage verschied er. Seine Aufgabe, den herrlichen Mutter-Gottes-Dom zu errichten, war erfüllt. Die Einweihung aber sollte er seinem Nachfolger überlassen.
Ungefähr dreißig Jahre nach der Vollendung des Domes richtete ein heftiger Brand bedeutenden Schaden an. Bischof Alexander, ein tüchtiger Kenner der Baukunst, stellte sogleich die Kirche wieder her.
Die Kathedrale von Lincoln gehört zu den Heiligtümern, zu denen die Engländer stets eine besondere Verehrung hegten. In einem Bürgerkrieg um die Mitte des 12. Jahrhunderts hielten es die Einwohner der Stadt mit ihrem König Stephan. Sie hatten Maria zu ihrer besonderen Beschützerin gewählt und schrieben ihrer Fürsprache einen glänzenden Sieg zu, welchen sie im Jahre 1147 über den Grafen von Chester erlangten, indem sie ihn mit einem beträchtlichen Verlust von ihren Wällen zurückschlugen. Ein englischer Schriftsteller schreibt hierüber: "Die siegreichen, von Freude erfüllten Bürger von Lincoln gaben ihrer Beschützerin, der Jungfrau der Jungfrauen, großen Dank und Preis".
Von da an nahm der Ruhm U.L.Frau von Lincoln stets zu, und reiche Geschenke wurden dem Heiligtum zu Teil. Gegen Ende desselben Jahrhunderts entstanden durch ein Erdbeben Risse in de Mauern der Kirche und manche Gewölbe stürzten zusammen.
So fasste denn der große Bischof Hugo den Plan, die Kathedrale nicht nur von neuem aufzubauen, sondern sie auch bedeutend zu vergrößern und schöner als vorher zu schmücken.
Keine vierzig Jahre vergingen indes, da entstand ein neuer Schaden an dem Mutter-Gottes-Heiligtum. Der große Turm auf der Mitte des Gebäudes stürzte ein und zerstörte manche Teile des Daches und des Gewölbes. Aber auch der damals regierende Bischof, wie sein Vorgänger, setzte seine Ehre darein, den entstandenen Schaden wieder gut zu machen.
Von da an fügte die Frömmigkeit der Gläubigen stets neue Verschönerungen zum Baue hinzu, bis die Glaubensneuerer den Katholiken den schönen Dom raubten, nachdem sie Vieles zerstört und die Kostbarkeiten hinweggenommen hatten.
Möchte doch in dem ursprünglich so katholischen England die wahre Religion wieder einen vollständigen Sieg über den Irrtum davontragen, und U.L.Frau von Lincoln wieder die Verehrung und Liebe im Herzen der Engländer gewinnen, welche sie so sehr verdient.
3. Westminster in London
Über den Ursprung der berühmten Abtei und Kirche in Westminster sind die Geschichtsforscher nicht einig. Am wahrscheinlichsten ist, dass der von Papst Gregor dem Großen nach England gesandte hl. Augustin der Urheber ist. Er bekehrte den König Sebert, welcher dann zum Danke für die Gnade der heiligen Taufe, die er mit vielen Untertanen empfangen hatte, dem hl. Mellitus, dem ersten Bischof von London, die Mittel gab zur Erbauung eines Klosters. Dieses baute der hl. Mellitus zu Ehren des hl. Petrus, und weil es westlich von der kurz vorher erbauten Kathedrale St. Paul lag, erhielt es den Namen Westminster. (Minster heißt so viel wie Kloster.) Dieses klösterliche Heiligtum sollte eine Pflanzschule werden für die Missionäre, welche das noch fast ganz heidnische England für das Christentum gewinnen sollten.
Die erste Kirche Westminster war ein ganz bescheidener Bau, und wie ein Schriftsteller sagt: "ohne eine andere Zierde als den Eifer der darin betenden Mönche."
Verfolgen wir nun kurz die Geschichte des Baues von dem einfachen Klosterkirchlein bis zu dem majestätischen Dom, wie er noch heutzutage dem Besucher Bewunderung einflößt.
Die Dänen zerstörten im neunten Jahrhundert die Kirche sowie die Stadt. Der hl. Dunstan, den wir schon oben haben kennen gelernt, stellte die Abtei wieder her. Der hl. König Eduard im elften Jahrhundert baute die Abtei von neuem und größer. In seinem frommen Eifer scheute er keine Kosten; freigebig gab er alle nötigen Geldsummen her, um das Werk zu fördern und möglichst bald dessen Vollendung zu sehen. Schon krank, wolle der König doch am heiligen Weihnachtsfeste 1065 der Einweihung beiwohnen. Er beschenkte die Abtei noch reichlicher, und zehn Tage nach dem Fest empfing er den ewigen Lohn für seine vielen Guttaten. Sein heiliger Leib wurde in der neuen Westminsterkirche beigesetzt.
Als Wilhelm der Eroberer sich nach Erkämpfung Englands in der Westminsterkirche krönen lassen wollte, und die Anwesenden laut ihren Beifall kund gaben, glaubten die normannischen Soldaten des Eroberers, das Geschrei sei ein Alarmruf gegen die Krönung. Sie legten Feuer an die benachbarten Häuser und begannen zu plündern. Der Brand griff immer weiter um sich und die Kirche samt der Abtei wurden größtenteils ein Raub der Flammen.
Erst König Heinrich III. begann 1220 die Restauration, und zwar baute er zuerst die Kapelle der heiligen Jungfrau. Trotzdem dass er durch den stolzen und widerspenstigen Adel in große Not kam, oder was wahrscheinlicher ist, eben weil er in Not war, machte er sich ans Werk, um von der Königin des Himmels Hilfe und Rat in der Regierung zu erflehen.
Er ließ nach und nach die ganze Abtei wieder aufbauen, ganz auf eigene Kosten; und als er seine Augen schloss, war der Bau seiner Vollendung nahe. Sein Nachfolger führte ihn zu Ende im Jahre 1285.
Zwei Jahrhunderte später schien dem König Heinrich VII. die Mutter-Gottes-Kapelle noch nicht schön genug. Er baute sie um und zwar mit einer solchen Pracht, dass sie weit und breit berühmt wurde.
Ein anderer Heinrich im sechzehnten Jahrhundert, nämlich der Glaubensneuerer Heinrich VIII., konnte auch dieses reiche Mutter-Gottes-Heiligtum nicht bestehen lassen. Wie viele andere kirchliche Schätze, so fielen auch die Weihgeschenke der Mutter Gottes von Westminster seiner Habsucht zum Opfer.
Auf welche Veranlassung hin Westminster ein Gnadenort geworden, und zu welcher Zeit, davon finden wir nichts aufgezeichnet. Nur eine Notiz eines Geschichtsschreibers können wir anführen als Zeugnis dafür, dass Westminster ein Wallfahrtsort gewesen. Derselbe sagt: "die Abtei Westminster habe ein berühmtes Bild gehabt, welches die Könige des Hauses Plantagenet sehr hoch schätzten. Und", sagt er: "es geschehen durch dasselbe viele und schöne Wunder". Vor diesem Bilde hat Richard II. gebetet an dem Morgen, als er nach Smithfield den Aufrührern entgegenzog.
Gebe Gott, dass wir Katholiken bald wieder mit Freuden auf ein katholisches England hinschauen können, das die Mutter Gottes ehrt und liebt wie seine Väter in alter Zeit, und das den schönen Namen wieder zu tragen würdig ist, den es wegen seiner vielen Marienkirchen früher hatte: "Mariens Brautschatz". (I. Spencer Northcote, "Berühmte Gnadenorte U.L. Frau". Köln, 1869 - Abbé Bourassé. "Les plus belles églises du monde". Tours, 1861.)